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Mehr als nur eine Reise - Wie die Arbeit mit Aborigines meine Welt um 180° gedreht hat

  • kiaranemeth
  • 9. März
  • 10 Min. Lesezeit


Ich saß auf der Stufe vor meinem Hostel, den schweren Backpack mit all meinen Kleidern neben mir, das Herz klopfte schneller als gewöhnlich. Gleich würde mich jemand Fremdes abholen und mitnehmen – wohin genau, wusste ich nur vage.

Alles hatte mit einer Facebook-Nachricht begonnen. Zwischen unzähligen dubiosen Angeboten war eine von Tim dabei gewesen: ein Job bei RESET, Arbeit mit Aborigines. Skeptisch hatte ich nachgehakt, bis er mir anbot, seine Frau zu treffen – ein Vertrauensbeweis, der mich stutzen ließ. Ich sprach mit meinen Eltern am Telefon darüber, und der Satz meines Vaters ließ mich schließlich zusagen: „Du kannst überall Barista sein, aber nur hier mit Aborigines arbeiten.“

Und nun war ich hier, in Cairns, bereit für ein Abenteuer, das mein Leben verändern sollte.

Eine kleine Frau namens Justine trat aus dem Auto und gibt mir ein Zeichen, einzusteigen. Ein paar Straßen weiter wartete Tim mit einem zweiten Wagen, voll besetzt mit Aborigines, die aus Cairns zurück in ihre Community wollten. Dann ging es los – unter strahlender Sonne & blauem Himmel geradewegs ins Ungewisse.


Die ersten Stunden der Fahrt vergingen noch relativ unspektakulär. Wir fuhren vorbei an kleine Dörfer, hielten an einer Tankstelle für ein überraschend leckeres Sandwich, und während die Landschaft langsam immer karger wurde, vertiefte ich mich in Gespräche mit Tim.

lecker sandwich an tankstelle

Er war ein faszinierender Mann – einst Soldat, später Universitätsprofessor, und jetzt arbeitete er hier mit und für die Ureinwohner Australiens. Seine Erzählungen waren voller Wissen und Lebenserfahrung, und während wir über Kultur, Geschichte und das Leben an sich sprachen, fühlte ich mich sicher und gut aufgehoben. Irgendwann, viele Stunden später, bat Tim mich, eines der Autos für die letzte Stunde zu übernehmen. Justine sollte an einem Campingplatz abgesetzt werden, und damit niemand später extra zurückfahren musste, lag es an mir, das zweite Auto nach Hause zu fahren. Ich war müde, keine Frage – aber auch entschlossen. Fahren auf der linken Straßenseite und das Steuer auf der rechten? Noch ungewohnt, aber mitten im Nirgendwo, wo wir seit Stunden kein anderes Auto mehr gesehen hatten, schien es machbar.

Ayleen, eine ältere Aborigine-Dame, setzte sich zu mir auf den Beifahrersitz. Sie hatte die Aufgabe von Tim bekommen auf mich auf zu passen. Ich war angespannt, sprach kaum ein Wort. Doch als ich nach einiger Zeit aus dem Augenwinkel sah, wie sie leise neben mir einschlief, wusste ich: Sie fühlte sich sicher mit mir. Und das gab auch mir Ruhe. Die Fahrt durch die Dunkelheit wurde fast meditativ. Die Scheinwerfer tauchten die rote, sandige Straße in warmes Licht, während sich links und rechts die pechschwarze Weite erstreckte. Ab und zu saßen Eulen am Straßenrand, regungslos, als würden sie über mich wachen. Es war still – eine Stille, die nicht leer war, sondern voller Bedeutung. Und genau in diesem Moment spürte ich es: Diese Reise würde etwas in mir verändern. Nach ungefähr weiteren 2 Stunden erreichten wir schließlich mein neues Zuhause für die nächsten Wochen. Es war mitten in der Nacht, und außer den gedämpften Straßenlaternen war kaum etwas zu sehen. Keine Menschen, keine Bewegung – nur schlichte Häuser, die in der Dunkelheit lagen. Wir fuhren zu Tims Haus. Hinter einem hohen Zaun stand ein kleines Gebäude mit überdachter Veranda, einige Autos im Hof, eine Garage die sich mehrere Meter in die Breite zog – und ein quadratischer Container, der sich als mein neues Zimmer herausstellte.

mein zimmer im garten

Tim half mir mit meinem Gepäck. Als ich es betrat, fiel das Licht der Laternen durch das Fenster und enthüllte ein liebevoll hergerichtetes Bett. Ich wollte mir alles genauer ansehen, doch die Müdigkeit war stärker. Noch bevor ich meine Gedanken richtig ordnen konnte, fiel ich ins Bett – mitten in eine neue Welt.


mein zimmer von innen

Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte – doch als ich die Augen öffnete, war die Sonne bereits hoch am Himmel. Mein Körper hatte den Schlaf gebraucht, um sich zu erholen. Noch halb verschlafen ließ ich meinen Blick durch das kleine Zimmer wandern. Erst jetzt fiel mir die liebevolle Einrichtung auf: Eine schlichte Kommode aus Glas mit geflochtenen Körben als Schubladen, ein kleines Regal aus Holz mit drei Ebenen. Oben drauf standen ein runder Spiegel, ordentlich gefaltete Handtücher und ein kleines Duschgel. Jemand hatte sich Mühe gegeben, mir einen freundlichen Empfang zu bereiten. Als ich schließlich aufstand, mich fertig machte und nach draußen trat, strahlte mich die warme Mittagssonne an – als würde sie mich in meinem neuen Zuhause willkommen heißen. Um mich herum war es still. Ich lief zum Haus, um Tim zu suchen, und traf stattdessen auf eine große, schlanke Frau mit blonden Haaren, die sie in einem Pferdeschwanz trug. Sie trug eine beige Arbeiterhose und ein Hemd, ein freundliches Lächeln auf den Lippen.

„Du musst Kiara sein“, begrüßt sie mich. Sie stellte sich als Veera vor, Tims Frau. Ursprünglich aus Finnland, war sie selbst einmal als Backpackerin nach Australien gekommen – und geblieben. Es war ihr wichtig, dass ich mich wohlfühlte. Nach einem kurzen Gespräch lud sie mich ein, mit ihr im Haus eine Kleinigkeit zu essen. Während ich hungrig mein Essen genoss, erzählten sie und Tim mir mehr über die Arbeit in der Community. Gestärkt und voller Tatendrang wollte ich mich sofort nützlich machen. Veera reichte mir Arbeitsklamotten. Meine erste Aufgabe war simpel, aber perfekt, um anzukommen: Mit einem Aufsitz-Rasenmäher einen Garten mähen.

die erste aufgabe

Gemeinsam mit Tim und Mason, dem Sohn eines Freundes von ihm, erledigten wir die Arbeit. Nach der Arbeit verbrachte ich den Rest des Tages entspannt mit Tim, Veera und Mason. Beim Abendessen führten wir lange und interessante Gespräche – die ersten von vielen, wie ich später feststellen würde. Doch meine Gedanken kreisten schon um den nächsten Morgen. Am Montag würde meine Arbeit so richtig beginnen.

Nach einer erholsamen Nacht begann mein erster richtiger und offizieller Arbeitstag um Punkt 8 Uhr. Im Garten fand das tägliche Meeting statt, bei dem ich den anwesenden Aborigines vorgestellt wurde. Sie musterten mich neugierig – eine neue Fremde in ihrer Mitte. Da ich einen Führerschein hatte, wurde ich dem Town Cleaning Team zugeteilt. Meine Aufgabe? Fahren. Die ersten Tage bestand mein Job darin, das Auto mit den Arbeitern und den Putzutensilien von A nach B zu bringen. Während sich meine neuen Kollegen auf ihrer eigenen Sprache unterhielten, lauschte ich gespannt, auch wenn ich kein Wort davon verstand. Ayleen, die mich bereits auf der Fahrt begleitet hatte, war ebenfalls Teil meines Teams. Sie hatte weiterhin ein Auge auf mich, gab mir Richtungsanweisungen und zeigte mir, was zu tun war. Auch wenn ich noch nicht alles verstand und das erst der Anfang war, wusste ich: Ich war schon mittendrin – und es würde eine Zeit voller neuer Erfahrungen werden.


Mit jedem Tag fiel es mir leichter, mich in Aurukun zu orientieren. Es gab nur etwa zehn Straßen, und nach einigen Tagen wusste ich genau, wo wir hinmussten. Doch mehr als die Orientierung auf der Karte war es das Gefühl, langsam wirklich Teil dieser Welt zu werden. Nach und nach verstand ich die Abläufe der täglichen Putzarbeiten. Es ging nicht nur darum, sauber zu machen – es ging darum, etwas zu vermitteln. RESET steht für Remote Environments Skills Employment & Training, und meine Aufgabe war es, den Arbeitern nicht nur zu helfen, sondern ihnen Fähigkeiten beizubringen, die ihnen später bessere Jobmöglichkeiten bieten könnten. Gleichzeitig lernte ich selbst so viel von ihnen: über ihre Kultur, ihre Sprache und ihre Sicht auf die Welt.

Nach etwa einer Woche geschah etwas, das für mich ein Wendepunkt war. Bis dahin hatten sich meine Kollegen meist in ihrer eigenen Sprache unterhalten, was ich zwar verstand, aber mich auch ein Stück weit als Außenstehende fühlen ließ. Doch dann, ganz plötzlich, wechselten sie ins Englische – nicht aus Zwang, sondern damit ich an ihren Gesprächen teilhaben konnte. Es war ein kleines Detail, aber für mich eine große Geste. In diesem Moment wusste ich: Sie akzeptierten mich. Sie ließen mich Teil ihres Alltags werden. Die Arbeit war körperlich anstrengend.

meine Arbeitskleidung

Die Sonne brannte vom Himmel, und ich trug immer lange Kleidung, um meine Haut zu schützen. Doch in diesem Outfit Böden zu schrubben oder Müll zu beseitigen war eine echte Herausforderung. Trotzdem machte mir die Arbeit unheimlich viel Spaß, vor allem wegen der Menschen um mich herum. Besonders Ayleen wuchs mir ans Herz. Sie war immer in meiner Nähe, passte auf mich auf und zeigte mir Dinge, die ich alleine nicht verstanden hätte. Unsere Verbindung wurde mit jedem Tag stärker – genauso wie mein Verständnis für die Menschen hier. An einem Wochenende fuhren wir gemeinsam zum nahegelegenen Fluss um schwimmen zu gehen und zu grillen. Es war ein Moment voller Leichtigkeit und Freude, an dem ich spürte, dass ich nicht mehr nur eine Fremde war.



Was RESET so besonders machte, war nicht nur die Arbeit an sich, sondern die Art, wie Tim und Veera mit den Menschen umgingen. Sie sahen nicht auf die Community herab, sie bewerteten nicht – sie begegneten jedem mit Respekt und dem Glauben an zweite Chancen. Diese Einstellung machte RESET für mich zu mehr als nur einem Job. Es war eine Lektion fürs Leben. Die Arbeit mit den australischen Ureinwohnern erfordert ein anderes Verständnis von Arbeit und Zeit. In einer Kultur, die so stark von familiären und gemeinschaftlichen Werten geprägt ist, kann man nicht einfach westliche Arbeitsstrukturen anwenden. Wenn man hier in Aurukun den Aborigines sagt, sie müssen von 8 bis 16 Uhr arbeiten und werden entlassen, wenn sie das nicht einhalten, steht man schnell alleine da. Tim und Veera hatten in der Vergangenheit selbst erlebt, wie schlecht der Umgang mit den Menschen hier war. Sie erkannten, dass es eine andere Herangehensweise brauchte, um tatsächlich Veränderungen zu bewirken. RESET setzt auf ein flexibles und offenes System, das den Aborigines nicht nur Jobs bietet, sondern auch echte Chancen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und zu erweitern. Statt teure Putzkräfte aus anderen Teilen Australiens in die Community zu fliegen, nutzen sie die Ressourcen und Menschen, die bereits hier leben. So bekommen die Einheimischen die Möglichkeit, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten zu erweitern und gleichzeitig zur Verbesserung der Gemeinde beizutragen. Es geht nicht nur um die täglichen Reinigungsdienste, sondern auch um Gartenarbeit und die Unterstützung der nahegelegenen Minen, für die RESET ebenfalls sorgt, indem sie Unterkünfte pflegen und reinigen aber auch die Straßen nach der Regenzeit wieder befahrbar machen.

der Treffpunkt für die Meetings

Jeden Morgen gibt es eine Besprechung, in der die Aufgaben des Tages verteilt werden. Auf einem Blatt können sich die Arbeiter für die Aufgaben eintragen, die sie erledigen möchten. Bezahlt wird derjenige, der die Aufgabe letztlich auch erledigt. Doch oft kommt es vor, dass das Team, das sich eingetragen hat, aus familiären oder kulturellen Gründen nicht erscheinen kann. In solchen Momenten muss man flexibel reagieren, umplanen und sich den Gegebenheiten anpassen. Sollte es über längere Zeiträume hinweg zu Ausfällen kommen, liegt es an uns, herauszufinden, was dahinter steckt und wie man die Situation verbessern kann. Diese Art der Arbeit ist nicht nur anpassungsfähig, sondern auch respektvoll gegenüber den kulturellen Unterschieden der Aborigines und ermöglicht es ihnen, ihre Arbeit in einem Umfeld zu leisten, das ihre eigenen Bedürfnisse und Werte berücksichtigt.


An fast jedem Abend nach dem Abendessen saß ich noch lange mit Tim und Veera zusammen. Wir sprachen über den Tag, was gut gelaufen war und was weniger. Welche Aufgaben wurden erfolgreich erledigt, und welche Herausforderungen hatten wir mit den Arbeitern? Besonders interessant war es, die subtile Stimmung unter der Oberfläche zu erkennen – manchmal war es nicht nur die Aufgabe selbst, die erledigt werden musste, sondern auch die unsichtbaren, zwischenmenschlichen Aspekte. Wie waren die Schwingungen in der Gruppe? Hatten sich Spannungen aufgebaut, die es zu verstehen galt? Dieser Job war viel mehr als nur das Erledigen von Aufgaben. Er verlangte Einfühlungsvermögen, eine Feinfühligkeit für die Dinge, die nicht sofort sichtbar waren. Tim und Veera wollten ihren Arbeitern ein zweites Zuhause bieten – ein Ort, an dem sie sich sicher und respektiert fühlten. Und mit der Zeit wurde ich ein Teil davon. Ich spürte immer mehr, wie wichtig es war, die Dynamiken der Community zu verstehen, das unsichtbare Netz aus Beziehungen und Traditionen, das das tägliche Leben prägte.

An diesen Abenden hörte ich viel über die psychologischen und kulturellen Seiten des Lebens in der Community. Tim und Veera erzählten mir von Dingen, die ich mir niemals hätte vorstellen können – von tiefen emotionalen und familiären Herausforderungen, von den Kämpfen der Aborigines, die über Generationen hinweg gingen. Es war schwer zu begreifen, was hier wirklich vor sich ging, doch je mehr ich zuhörte, desto mehr verstand ich, dass es nicht nur um die Arbeit ging, sondern auch um das Verstehen der schwierigen Vergangenheit und der alltäglichen Probleme.

In den Wochen, die ich in Aurukun verbrachte, wuchs eine tiefe Neugierde in mir – eine Neugier für die Psychologie hinter dieser ganzen Gemeinschaft, die Geschichte, die sich in jedem einzelnen ihrer Mitglieder widerspiegelte, und die unsichtbaren Wunden, die nicht sofort zu erkennen waren. Ich wollte verstehen, was sie erlebt hatten, was sie bewegte und wie sie trotz allem immer wieder versuchten, in einem System zu überleben, das sie oft nicht zu verstehen schien.

ich mit ein paar meiner Arbeitskollegen

Je länger ich in Aurukun arbeitete und je mehr ich über die Menschen und die Kultur dort erfuhr, desto stärker wurde das Gefühl, dass mein ursprünglich geplantes duales Studium für mich immer weniger die richtige Wahl war. Die Idee, in die westliche Arbeitswelt zurückzukehren, mit ihrem starren System und den festen Regeln, fühlte sich zunehmend fehl am Platz an. Bei einem Telefonat mit meinen Eltern erzählte ich ihnen von meinen Gedanken, von den Zweifeln, die mich quälten, und der Sehnsucht, tiefer in die Psychologie einzutauchen. Doch einfach weiter zu reisen, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben, war für mich keine Option. Ich wollte mich weiterentwickeln und vor allem etwas tun, das nicht nur meinem Kopf, sondern auch meinem Herzen gerecht wurde. So fand ich meinen Weg in ein Fernstudium – angewandte Psychologie. Diese Entscheidung kam nicht nur aus dem Wunsch, Wissen zu erlangen, sondern aus dem tiefen Bedürfnis, die Psychologie in der Praxis zu verstehen und anwenden zu können – besonders in Alltagssituationen und in den vielen verschiedenen Facetten des Lebens, die ich in meiner Zeit in Australien kennengelernt hatte.



Es war die beste Entscheidung, die ich damals treffen konnte. Diese Erfahrung mit RESET hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Sie hat mir nicht nur eine neue berufliche Richtung gezeigt, sondern auch mein Verständnis für den Umgang mit Menschen und ihre komplexen Hintergründe vertieft. Auch heute noch stehe ich in engem Kontakt mit ihnen, die mir damals so viel beigebracht haben. Es ist eine Verbindung, die ich nie verlieren möchte. Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen – vielleicht früher, als ich es denke. Aber eines weiß ich sicher: Diese Erfahrung wird immer ein Teil von mir bleiben und mich in allem, was ich tue, begleiten.


"Nicht der ist weise, der viel weiß, sondern der, der viel lebt." - Michel de Montaigne -

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